Donnerstag, 9. Oktober 2014

Mit den Augen Gottes sehen



Die pastorale Frage

Wie ist es mit dem Menschen, dessen Leben überall die Lücken des Unvollbrachten und die Zerstörung des falsch Getanen in sich trägt? Wenn ein solcher Mensch ins Licht Gottes tritt, sieht er sich mit dessen Augen. Er durchlebt sich als den, der er vor Gott ist, und das muß ein unausdenkbarer Schmerz sein. Er steht auf Seiten der Wahrheit gegen sich selbst.

mit der Romano Guardini das Fegefeuer beschreibt, erklärt das Zurückweichen vor der Konfrontation mit dieser Wahrheit.


„Wir müssen lernen, ohne Wahrheit zu leben“, so Nietzsche. Die Frage stellt sich nun, mit welcher Lüge man am besten lebt. Was bleibt, ist dann nur noch Kampf gegen den banalen Nihilismus einer Spaßgesellschaft.

oder von Kardinal Müller ins Theologische gewendet:

Wir können das Evangelium und die Tradition ‚dekonstruieren’ und sie nach den Vorstellungen der heutigen Welt neu zusammenbauen, ihre Anforderungen leicht machen und sie an den brüchigen, oberflächlichen, unreifen und postmodernen Menschen anpassen.

hält der Kollege nebenan für einen Teil des Problems:

Warum nimmt die Glaubenspraxis ab? Darauf gibt es keine einfache Antwort, aber ich glaube nicht, dass es daran läge, dass Glaube zu hart und unergiebig wäre. Eher ist es, weil wir uns die Dinge zu einfach machen. Wir haben den Vergleichsmaßstab so niedrig angesetzt, dass der Glaube unwichtig erscheint. „Was wir zu billig erwerben, schätzen wir gering: Kostspieligkeit ist’s, das jedem Ding seinen Wert zuweist. Der Himmel weiß, einen angemessenen Preis für sein Gut zu setzen“ (Es spricht meinen Sinn für Humor an, den Atheisten Paine als Glaubensunterstützer zu zitieren)


Es geht nicht darum, hohe Hürden zu errichten, sondern die Herde auf dem richtigen Weg zu ermutigen, auch wenn es Hürden zu überwinden gilt, und zu vermeiden, die Schafe stattdessen auf den barrierefreien Holzweg zu schicken. Es handelt sich bei der Freude des Evangeliums nicht bloß um Vergnügen, sinnlichen Genuß, guten Mut, Selbstzufriedenheit, Frohsinn, Fröhlichkeit, Heiterkeit, δον, εμία, ε-φρασία, laetitia oder voluptas, sondern um Glückseligkeit, χαρά, gaudium (die Freude als Gemütsstimmung). Dies ist kein Gegensatz, sondern eine Steigerung, auch wenn es Schwierigkeiten zu überwinden gilt.
Den Fehler der Engführung auf „graduelle“ Zufriedenheit beschreibt Robert Spaemann

Das Heilmittel für den Ehebruch, den die neuerliche Heirat eines Geschiedenen mit sich bringt, sind nicht mehr Reue, Umkehr und Vergebung, sondern das Verstreichen von Zeit und die Gewöhnung – so als hätten allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz und unsere persönliche Zufriedenheit mit den eigenen Entscheidungen und dem eigenen Leben eine beinahe übernatürliche Kraft. … Wir sollten zwei Dinge nicht verwechseln: den zunehmenden Verlust von Sündenbewusstsein und das Verschwinden der Sünde, also die Befreiung von der fortbestehenden Verantwortung für sie.

Schon Descartes verwirft die Befriedigung des Geistes aus dem Ergötzen, sich mit falschen Einbildungen zu täuschen, als weniger vollkommen als die Wahrheit zu kennen, auch wenn sie zu unserem Nachteil ist.

Das Ausweichen vor einer Wahrheit, die zu ertragen hart scheint, und der Rückzug auf die eigene Bequemlichkeit nimmt die Perspektive, die Entwicklungsmöglichkeit.

Daher fährt Kardinal Müller fort:

Wenn wir uns aber „der Möglichkeit entziehen, unser Leben mit dem göttlichen Wort zu konfrontieren, verlieren wir auch die Chance, die wahre Glückseligkeit zu erfahren, die Christus bringt“.

Die pastorale Lösung wäre – wie (scheint mir) so oft – die Begegnung mit der verlässlichen Zuwendung Gottes, der uns liebst, selbst wenn wir selbst es nicht mehr könnten. Die Barmherzigkeit Gottes ist kein Gegensatz zur Wahrheit, sondern ihr Zwilling. Denn Romano Guardini schreibt über den Menschen unter dem Blick Gottes weiter:

In einem geheimnisvollen Leiden stellt das Herz sich der Reue zur Verfügung und überliefert sich so der heiligen Macht des Schöpfergeistes. Daraus wird das Versäumte neu geschenkt. Das Falsche wird in Ordnung gerückt. Das Böse umgelebt und ins Gute herübergebracht.

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